McCoy Tyner - Anker über dem stürmischen Ozean
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McCoy Tyners Klavierspiel ist wie eine gewaltige Flutwelle: mächtig, unaufhaltsam, aber stets kontrolliert und in eleganter Bewegung. Der Pianist, der durch seine Zusammenarbeit mit John Coltrane in den 1960er-Jahren Weltruhm erlangte, hat die Jazzwelt mit einem kraftvollen und spirituell durchdrungenen Stil bereichert, der sowohl energisch als auch tiefgründig ist. Seine musikalische Sprache, gekennzeichnet durch perkussive Akkorde, komplizierte modale Skalen und ein unverwechselbares rhythmisches Gespür, macht ihn zu einem der einflussreichsten Pianisten des modernen Jazz.
Tyner nutzte dabei insbesondere modale und quartbasierte Voicings, die ihm ein breites, offenes Klangspektrum eröffneten. Seine Akkorde haben eine beinahe orchestrale Wucht, die den Raum mit Klang füllt, aber nie schwerfällig oder überladen wirkt. Diese “akkordischen Wellen” sind charakteristisch für Tyners Spiel und verleihen ihm eine unvergleichliche klangliche Präsenz.
Ein weiteres Markenzeichen von Tyners Spiel ist seine linke Hand, die wie der Anker in einem stürmischen Ozean wirkt. Die Basslinien, die er oft in Oktaven spielt, geben seinen Improvisationen eine beständige rhythmische Grundlage und eine emotionale Tiefe, die dem Zuhörer Halt und Orientierung bieten. Die rechte Hand hingegen bringt Leichtigkeit und fliessende Melodielinien hinzu, die in hohem Tempo über die dichten harmonischen Strukturen der linken Hand gleiten. Diese Dualität – das kraftvolle Fundament der linken Hand und die lyrischen Bewegungen der rechten – lässt seine Soli wie eine Art inneres Gespräch erscheinen, das zwischen Wucht und Eleganz, Struktur und Freiheit schwebt.
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Tyners Stil ist stark von afrikanischen und östlichen Einflüssen geprägt, was ihm eine exotische und zugleich archaische Klangqualität verleiht. Diese Vorliebe für modale Strukturen und rhythmische Komplexität unterscheidet ihn von vielen seiner Zeitgenossen und verschaffte ihm eine besondere künstlerische Ausdruckskraft. Seine Melodien und Akkordstrukturen sind oft wie hypnotische Muster, die sich wiederholen und steigern und in eine tranceartige Spannung führen – eine Anspielung auf die spirituelle Dimension seiner Musik. Für Tyner war Musik nicht nur eine Kunstform, sondern auch ein spiritueller Ausdruck, eine Suche nach innerer Tiefe und Transzendenz.
Sein Spiel ist technisch virtuos und doch zutiefst gefühlvoll; er spielte immer mit einem klaren, unnachgiebigen Fokus, als würde er sich jeder Note völlig bewusst hingeben. Seine Soli haben eine monumentale Kraft, und sein Sinn für Dynamik erlaubt es ihm, in einem einzigen Stück mühelos von zarten, introspektiven Passagen zu donnernden Akkordfolgen überzugehen. Tyners Spiel bleibt dadurch aufregend unvorhersehbar, als ob man einer Naturgewalt lauschte, die sich beständig neu formt, sich entfaltet und in immer neuen Farben und Formen aufblüht.
Insgesamt kann man Tyners musikalische Kraft als eine ungebändigte Energie beschreiben, die jedoch durch meisterhafte Kontrolle kanalisiert wird. Er bringt eine Klangfülle hervor, die an die Urgewalten der Natur erinnert – wie ein Ozean, der manchmal still und majestätisch, dann wieder aufbrausend und wild erscheint. Sein Spiel ist eine Reise durch Klangräume und Emotionen, die den Hörer sowohl herausfordert als auch tief berührt. McCoy Tyner hat mit seinem Stil einen kraftvollen und spirituellen Sound geschaffen, der in seiner Tiefe und Weite einmalig ist – wie eine unendliche Welle, die uns emporhebt und in die Tiefen des Jazz entführt.